Von Julia Veil, 29. September 2022

Esel – mehr als Pferde mit langen Ohren

Esel sind Equiden- genau wie Pferde.
Darum wurde ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal gebeten, einen Esel von Melanie Schmidt- Esel Touren Taunus, zu behandeln.

Ich war beim ersten Termin ein bisschen aufgeregt, denn das war für mich damals noch Neuland. Darum habe ich mich vor dem Termin ausführlich mit dem Thema „Esel“ befasst. Es gibt einige anatomische Unterschiede zwischen Esel und Pferd, die man berücksichtigen muss. Neben dem Wissen das man in der Fachliteratur nachlesen kann stieß ich bei der Behandlung dann aber doch noch auf einige Ãœberraschungen. 

Anatomie

Nachzulesen ist, dass Esel nur fünf Lendenwirbel haben (Pferde haben sechs). Ihre Hufe sind besonders für trockenes Klima ausgelegt. Ihr Sakrum (Kreuzbein) ist mit dem ersten Schweifwirbel verwachsen, sodass man den Schweif nicht nach oben klappen kann wie beim Pferd. Darauf muss man sich bei der manuellen Therapie einstellen. Außerdem werden Esel im Durchschnitt etwa zehn Jahre älter als Pferde.

Eine weitere Besonderheit stellt die Gelenkigkeit dar. Hypermobilität eines Gelenkes ist eigentlich eine Kontraindikation für manuelle Therapie. Beim Esel ist der natürliche Bewegungsspielraum der Gelenke jedoch von Natur aus sehr viel größer als bei Pferden. Das hat mich damals bei der Erstbehandlung eines Esels sehr überrascht. Ich musste erst einmal die anderen beiden Esel zum Vergleich untersuchen, um ein Gefühl für diese unglaublichen Körper zu entwickeln. 

Verhalten

Es gibt aber auch einige gravierende Unterschiede im Verhalten. Allgemein bekannt ist, dass Esel (anders als Pferde) keine Fluchttiere im engeren Sinne sind. Sie bleiben bei Gefahr eher erst einmal wie eingefroren stehen. Darum haben sie den Ruf „stur“ zu sein, was einfach eine grobe Fehlinterpretation ihres Verhaltens ist.

Außerdem haben Esel eine ausgeprägte Abneigung gegen Wolfartige. An das Zusammenleben mit Hunden müssen sie häufig erst aktiv gewöhnt werden. Im Zweifel wehrt sich der Esel mit Tritten, die immer und in jede Richtung ins Schwarze treffen. Davor hat der gemeine Osteopath Respekt, wobei bisher noch kein Esel jemals auch nur ein Hüflein gegen mich erhoben hat.

Schmerzen

Was bei der osteopathischen Arbeit mit Eseln aber am gravierendsten ist, ist dass sie niemals Schmerz zeigen. Ein Pferd würde beißen, treten Kopf Schütteln oder mir anderweitig mitteilen, dass die Intensität der Behandlung ein wenig zu stark wird. Ein Esel steht starr und wartet, dass es aufhört. Bestenfalls wird der Schweif ein bisschen hin und her geschüttelt. Dieser Fakt erfordert sehr viel therapeutisches Feingefühl.

Es gibt Esel, die trotz einer schweren Hufrehe nahezu lahmfrei gehen und erst nach langer Zeit, wenn es schon fast zu spät ist, diagnostiziert werden. Darum bin ich bei diesen Patienten immer ganz besonders vorsichtig. Zu leicht kann man etwas übersehen. Im Zweifel verweigere ich sogar bei einer entsprechenden Symptombeschreibung die Behandlung und schicke die Patienten gleich zum Tierarzt. Lieber einmal zu viel gründlich tierärztlich untersucht, als einmal eine Rehe oder etwas anderes schwerwiegendes zu übersehen.

Wer knabbert mich denn da an? Ist das etwa Sir Henry?

 

Bengie


Heute durfte ich Bengie, das neueste Mitglied der Eselbande von Melanie Schmidt bei Eseltouren Taunus behandeln.

Bengie ist 15 Jahre jung und ein besonders introvertierter Charakter. Er war mir gegenüber anfangs mächtig skeptisch was da mit ihm passiert. Wahrscheinlich wurde er noch nie zuvor osteopathisch behandelt.

Im Alltag zeigte sich Bengie ein bisschen bockig und steif. So etwas kann bei einem Esel durchaus ein Hinweis auf Schmerz sein, weswegen ich gerufen wurde. Es kann natürlich auch sein, dass er einfach nur ein bisschen bockig und steif ist. Aber eine osteopathische Behandlung bringt immer einiges zu Tage, auch bei einem introvertierten, skeptischen und schweigsamen Esel.

Die Gangbildanalyse ist ebenfalls nicht trivial. Gelten Pferde schon als Kompensationswunder, so sind Esel wahre Kompensationsgenies.

Im Schritt zeigen alle Esel eine Passverschiebung. Was beim Pferd ein Zeichen für ein Problem ist, ist hier ganz normal. Sie wirken auch alle etwas unbeweglich auf der Hinterhand, weil das Sakrum mit dem Schweif verwachsen ist und einfach ein Lendenwirbel weniger zur Verfügung steht. Aber dieser Schein trügt- sie können im 90° Winkel gezielt zur Seite austreten und einen Wolf töten, wenn es sein muss. Was das betrifft sind sie jedem Pferd überlegen.

Mit viel Erfahrung erahnt man Blockaden dann aber doch. In dem Video kann man in der Zeitlupe erkennen, dass Bengie links hinten ein klitzekleines bisschen kürzer tritt. Ansonsten war mein Eindruck eigentlich, dass mit ihm soweit alles in Ordnung ist.

 

Bengie hatte aber unerwarteter Weise ein ganzes Bündel an Blockaden:

  • Das Buggelenk vorne rechts bewegungseingeschränkt
  • Der siebte Halswirbel blockiert
  • Die Unterhalsmusskulatur (M.Brachiocephalicus) und Schultermuskulatur  auf der rechten Seite deutlich verspannt
  • Blockaden an allen 5 Lenden- und mehreren Brustwirbeln
  • Hüftschiefstand

All das ist schon eine ganze Menge, aber wie sich heraus stellte lag es daran, dass er sich das linke Knie gezerrt hatte. Die Schonhaltung, mit der er sein schmerzendes Knie kompensierte, zog den ganzen Bengie schief und führte zu all diesen Blockaden. Bei der Behandlung des Knies wurde sogar der introvertierte schweigsame Bengie kurzzeitig etwas nervös und ich musste sehr vorsichtig vorgehen, um ihm keine Schmerzen zuzufügen.

Nach der Behandlung war er dann sehr fröhlich, gelöst und kam aus sich heraus. Die anfängliche Skepsis war verflogen und er bedankte sich bei mir mit einem freundlichen Nasenküsschen:


Das sind die Momente, in denen das Leben besonders schön ist

Esel sind einfach unglaublich liebenswerte Gesellen, mit denen man immer eine Menge Spaß hat. Sie sind auch sehr verspielt und ihren Ideenreichtum sollte man besser nicht unterschätzen.
 
Jedenfalls hat man garantiert immer etwas zu lachen:


Bengie und Seppel spielen Tauziehen mit einer stibitzten Jacke